Wie sieht jüdisches Leben in Hamburg aus?
In diesem Jahr wird im ganzen Land an 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnert. Daniela Remus hat mit Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Hamburg gesprochen.
Das Festjahr 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland läuft seit dem 22. Februar in ganz Deutschland. Rund 1.000 Veranstaltungen finden im Laufe dieses Jahres statt, um an die gemeinsame deutsch-jüdische Geschichte zu erinnern und auch, um mehr über das gegenwärtige Judentum zu erfahren. Hamburg blickt auf eine über 400-jährige reiche gemeinsame Geschichte zurück.
Jüdisches Gemeindezentrum im Grindelviertel
Mitten im Grindelviertel, einem belebten Stadtteil Hamburgs rund um die Universität, liegt das Gemeindezentrum der jüdischen Gemeinde. Es befindet sich neben dem früheren Bornplatz, auf dem bis zur Zerstörung 1939 die größte Synagoge Nordeuropas stand. Mit einer Schule, einem Kindergarten, einem Kaffeehaus mit israelischen Speisen, einem Supermarkt mit koscheren Lebensmitteln und dem Veranstaltungszentrum 'Jüdischer Salon' am Grindel kommt das jüdische Leben zwar in kleinen Schritten, aber dennoch Stück für Stück hierher zurück.
Rabbiner Bistritzky erinnert an vielseitiges jüdisches Leben
"Das Grindelviertel war bekannt als Klein Jerusalem, da gab es hier mehrere Synagogen, jüdische Geschäfte. Ich habe Zuhause einen kleinen Taschenkalender, den ich von meinem Großvater bekommen habe, der hier in Hamburg gelebt hat. Und wenn ich diesen Kalender in der Hand halte, dann habe ich eine Vorstellung, wie voll Grindelhof, Grindelallee, Rutschbahn waren. Alle diese Straßen waren mit so viel jüdischem Leben zu erleben", erzählt Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, religiöses Oberhaupt der Gemeinde. Bistritzky lebt seit 2003 in Hamburg, der Stadt seines Großvaters, und ist stolz auf diese Entwicklung der vergangenen Jahre. Denn bis 1933 war das Grindelviertel das Zentrum des jüdischen Lebens für die damals rund 25.000 jüdischen Hamburger.
Auf den Spuren jüdischen Lebens in Hamburg
Ende des 16. Jahrhunderts kamen die ersten Juden aus Portugal ins damals dänische Altona. Etliche Orte erinnern an die bewegte Geschichte der Juden in der Hansestadt.
"Dass alle Juden früher und auch heute immer in einem bestimmten Stadtteil zusammenleben - das ist jetzt nicht, dass sie nur jüdische Nachbarn aussuchen wollen. Es ist nur praktisch, weil man am Shabbat zu Fuß zur Synagoge gehen soll und deswegen sucht man immer einen Wohnort immer noch im Bereich, dass man die Synagoge zu Fuß erreichen kann." Eine Synagoge gibt es im Grindelviertel derzeit allerdings nicht, sie liegt in einem anderen Stadtteil, in Eimsbüttel. Deshalb wohnen auch heute die meisten der ungefähr 3.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde in den umliegenden Stadtteilen.
Einheitsgemeinde vereint liberale, konservative und orthodoxe Juden
Die Gemeinde bezeichnet sich als Einheitsgemeinde und das heißt, dass verschiedene Strömungen des Judentums, ob liberal, konservativ oder orthodox alle unter einem Dach vereint sind: "Ich denke, man muss verstehen, dass eigentlich ein Großteil der Mitglieder der jüdischen Gemeinde in der Gemeinde sind, nicht weil sie sich orthodox fühlen oder weil sie sich liberal fühlen, sondern weil sie sich als Juden fühlen. Und sie möchten, dass man als Juden zusammenlebt und einfach auch jüdische Kultur leben kann und jüdische Religion. Da haben manche verschiedene Ansichten, aber für die meisten ist das gar nicht so im Vordergrund", sagt Michael Heimann, der sich dem liberalen Judentum zuordnet. Auch er freut sich, dass Jüdinnen und Juden in der Stadt wieder sichtbarer geworden sind. Ob mit der 2007 eröffneten Joseph-Carlebach-Schule, dem Rabbinerseminar, dem Jugendzentrum Chasak oder dem öffentlichen Entzünden der Chanukka-Kerzen an der Alster.
Stricharz hofft auf Synagoge am Bornplatz
Denn nach 1945 war die wieder gegründete jüdische Gemeinde vor allem ein Rückzugsort für die Überlebenden der Shoa, die in der Stadt weitestgehend unsichtbar lebten. Das hat sich geändert. "Hamburg hat ein sehr großartiges jüdisches Erbe und hat auch eine großartige Entwicklung in den letzten Jahren und Jahrzehnten durchgemacht, in der jüdisches Leben wieder aufblüht und viel entstanden ist und dann muss dieses jüdische Leben auch sichtbar sein", erklärt Philipp Stricharz. Der erste Vorsitzende der jüdischen Gemeinde wünscht sich deshalb, dass auch die Synagoge an ihren alten Platz, mitten im Grindelviertel, zurückkommt. Damit sichtbar wird, dass jüdisches Leben wieder da ist, der Geschichte und dem gegenwärtigen Antisemitismus zum Trotz: "Jetzt geht es darum, dass wir uns sozusagen von den Nazis nicht auch den Bornplatz endgültig wegnehmen lassen, sondern auch dort soll jüdisches Leben wieder stattfinden, während an die Verbrechen der Nazis erinnert wird. Und jüdisches Leben heißt: Judentum und jüdisches Leben besteht nicht aus Erinnerungsschildern", betont Stricharz.